DIE STIFTUNG SOLIDARITÄTSFONDS
Auch Helfer brauchen manchmal Hilfe: Der Dachverband Wohnbaugenossenschaften Schweiz gründete 1966 den Solidaritätsfonds, um gemeinnützige Wohnbauträger zu unterstützen. Die Stiftung hilft mit zinsgünstigen Darlehen bei der Restfinanzierung für die Erneuerung bestehender Gebäude, den Neubau von preisgünstigem Wohnraum und den Erwerb von preisgünstigen Liegenschaften sowie von Grundstücken, die sich für den preisgünstigen Wohnungsbau eignen. In erster Linie werden so kapitalschwächere, aber entwicklungsfähige Wohnbaugenossenschaften unterstützt und machen den Solidaritätsfonds zu einem wirksamen Selbsthilfeinstrument des gemeinnützigen Wohnbausystems. Finanziert wird der Fonds durch jährliche, freiwillige Beiträge der Verbandsmitglieder in der ganzen Schweiz und durch entsprechende Zinserträge.
WOHNBAUGENOSSENSCHAFT VIA FELSENAU VERDOPPELT SICH
Die Wohnbaugenossenschaft „Via Felsenau“ wurde 1989 im Rahmen des Projekts «Interessengemeinschaft Berner Jugend baut» gegründet. Nach einer ersten Etappe mit sechs Wohnungen für Wohngemeinschaften wurde 2001 eine zweite Etappe mit zwanzig Wohnungen für Familien realisiert. Um der steigenden Nachfrage nach Familienwohnungen gerecht zu werden, wurde ein neues Bauprojekt mit 23 2- bis 7-Zimmer-Wohnungen, Gemeinschaftsraum, vier Jokerzimmern und einem Gästezimmer geplant. Die Wohneinheiten der Via 3 wurden im Dezember 2019 bezogen. Da die Eigenmittel zu Beginn nicht ausreichten, unterstützte der Solidaritätsfonds das Projekt mit einem Darlehen von 230’000 Franken.
Link: Wohnbaugenossenschaft Via Felsenau
Bild: Via 3 in der Felsenau, Bern
GIMMELWALD – DURCH GENOSSENSCHAFT DAS SCHULHAUS ALS BEGEGNUNGSORT ERHALTEN
Auch so geht Solidarität: Kurz bevor das Schulhaus in Gimmelwald an Private verkauft werden sollte, raufte sich die Bevölkerung dieses kleinen Bergdorfs im Lauterbrunnental zusammen. Ihr Ziel: mit dem Kauf das Schulhaus als Ort der Begegnung erhalten und dem Dorf so neue Impulse und Perspektiven geben. Im Sommer 2018 gründeten sie eine Genossenschaft, starteten einen Aufruf zur Zeichnung von Anteilscheinen und erwarben das Gebäude. So bleiben die Gemeindestube und der Schulhausplatz erhalten, der als einziger ebener Aussenplatz traditionell den vielfältigen Aktivitäten im Dorf dient. Im Gebäude werden neu ein Studio und drei Familienwohnungen erstellt. Ende 2020 werden sie bezugsbereit sein. Der Genossenschaft stand das Kompetenzzentrum gemeinnütziger Wohnungsbau des Verbands Wohnbaugenossenschaften Bern-Solothurn beratend zur Seite.
Link: Genossenschaft Schulhaus Gimmelwald
Bild: Liegenschaft der Genossenschaft "Schulhaus Gimmelwald"
WENN NACHBAR*INNEN SICH AUSHELFEN
Nicht in direkter Verbindung mit dem gemeinnützigen Wohnbauträger, aber mit dem genossenschaftlichen Gedanken der Nachbarschaftshilfe hat die Stadt Bern 2017 im Stadtteil III das Pilotprojekt «Nachbarschaft Bern» lanciert. Ziel ist es, Menschen, die Unterstützung im Alltag brauchen mit solchen zusammenzubringen, die diese leisten können. Der gegenseitige Austausch im Quartier soll gefördert und unentgeltliche Unterstützung vermittelt werden. Nach der zweijährigen Pilotphase läuft «Nachbarschaft Bern» seit Anfang 2019 als reguläres Angebot weiter. Zurzeit wird das Angebot auf weitere Stadtteile ausgeweitet, damit es bis Ende 2021 in der ganzen Stadt Bern angeboten werden kann. Seit 2020 ist die Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit Trägerin des Angebots. Unterdessen beteiligen sich auch gemeinnützige Wohnbauträger, wie die Eisenbahner Baugenossenschaft Bern, am Projekt.
INTERNER SOLIFONDS – DURCH AUSFLÜGE GEMEINSCHAFT STÄRKEN
Bei der Baugenossenschaft Gutenberg in Biel zahlen die Mieterinnen und Mieter jährlich 50 Rappen pro Quadratmeter via Heizkosten in den eigenen Solidaritätsfonds ein. Der Fonds hat zum Ziel, die Nachbarschaft zu stärken und Gelegenheiten für Begegnungen zu schaffen. Im Frühling lädt der Vorstand alle Interessierten zu einem Ausflug ein – sei es in den Unterwasser-Tierpark Sea Life in Konstanz oder ins benachbarte Frankreich nach Besançon. Auf das Genossenschaftsfest, das alle paar Jahre im Herbst stattfindet, freuen sich viele Genossenschafter*innen. Jeweils Ende November lädt die Baugenossenschaft, in Zusammenarbeit mit der Stiftung Battenberg, die sich für berufliche Integration und Bildung einsetzt, zum Weihnachtsessen ein. Die Augen der Kinder leuchten, wenn ihnen der Samichlaus ein kleines Geschenk übergibt. Grundsätzlich steht den Mieterinnen und Mietern offen, mit Ideen für Aktivitäten auf die Geschäftsleitung zuzukommen. Davon machen die Leute denn auch immer wieder Gebrauch: «Beim Whisky-Tasting bei Herrn M. habe ich neue Gesichter kennengelernt».
AUS DER NOT WIRD EINE TUGEND - UND DARAUS EIN ERFOLGSREZEPT: CASANOSTRA - VEREIN FÜR WOHNHILFE
Casanostra verfolgt das Ziel, würdevolles Wohnen für Menschen zu ermöglichen, die im freien Markt keinen bezahlbaren Wohnraum finden. Der Verein versteht sich ganz in der Tradition des gemeinnützigen Wohnungsbaus und ergänzt mit seinen Liegenschaften dessen Wohnungsangebot. Als soziale Immobilienverwaltung, welche Sozialarbeit in ihre Arbeit integriert, leistet Casanostra, was eine klassische Liegenschaftsverwaltung überfordern würde. Der Verein bietet Leuten am Rande der Gesellschaft Wohnbegleitungen und Wohnraum in sozial durchmischten Liegenschaften. Ziel ist es, die Lebenssituation von Sucht- oder psychisch Kranken, armen Personen oder Migrantinnen und Migranten zu stabilisieren und sie sozial zu integrieren. Dank einer umsichtigen Zusammensetzung der Bewohnerschaft können auch psychisch kranke Menschen in eine Nachbarschaft integriert werden. Gemäss den Bedürfnissen werden die Mietparteien durch Sozialarbeiter*innen begleitet. In einer Liegenschaft von Casanostra betreibt die Stadt Biel eine Kinderkrippe mit 25 Plätzen.
Link: Verein Casanostra
Bild: Die Siedlung Wasenstrasse, gemeinsam betrieben von Casanostra und der Bieler WBG Biwog
SOLIDARISCHES ZUSAMMENLEBEN MIT GEMEINSAMER ÖKONOMIE – BEISPIEL WBG "SCHRÄGWINKEL"
Solidarität muss nicht bei der Miete aufhören. Die Mitglieder der Genossenschaft „Schrägwinkel“ bewohnen seit über zehn Jahren ein ehemaliges Bauernhaus mit Ökonomiegebäude am Rand von Kehrsatz. Hier wohnen 13 Erwachsene und sechs Kinder. Sie teilen nicht nur eine Küche und Gemeinschaftsräume, sondern auch ihr Einkommen und Vermögen. Die Einkommen fliessen auf ein gemeinsames Konto, von dem alle ihre Ausgaben bezahlen. Die Kinder werden gemeinsam betreut, das Haus wurde gemeinsam umgebaut. Die gemeinsame Ökonomie ermöglicht einen Ausgleich zwischen (unterschiedlich gut) bezahlten und unbezahlten Arbeiten und entbindet die einzelne Person vom Druck, immer ein Einkommen haben zu müssen. Die Genossenschaft „Schrägwinkel“ entwickelt diese neuen Formen des solidarischen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens nicht nur für sich, sie wollen im Kleinen auch zeigen, wie eine solidarischere und gerechtere Gesellschaft funktionieren könnte.
Bild: "Leben am Waldrand in gemeinsamer Ökonomie" ©Florian Bachmann
PIONIER URUGUAY
In keinem anderen Land Lateinamerikas spielen Wohnbaugenossenschaften eine grössere Rolle als in Uruguay. Dort entwickelten sie sich bereits früh zu einer starken sozialen Bewegung mit engen Beziehungen zu Gewerkschaften. Die ersten genossenschaftlichen Wohnungen wurden 1967 im Rahmen eines National Housing Programme der Regierung finanziert. Der rechtliche Rahmen für ein mittelfristiges Wachstum erfolgte 1968, indem die staatliche Unterstützung der Wohnbauförderprogramme offiziell in das nationale Wohnungsgesetz aufgenommen wurde. Drei Jahre später hatten sich bereits 200 Genossenschaften für den Bau von 6’700 Wohneinheiten untereinander organisiert. Die Bewegung wurde während der Militärdiktatur unterdrückt. Nach dem Machtwechsel 2005 konnten sich die Wohnbaugenossenschaften wieder entfalten. Heute gibt es über 2’000 Wohnbaugenossenschaften, die für 30’000 uruguayische Familien preisgünstigen Wohnraum bieten. Die Genossenschaftsbewegung hat sich zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft in Uruguay entwickelt, die für das Recht der ärmeren städtischen Bevölkerung eintritt und gegen Wohnungsspekulation und Gentrifizierung kämpft. Unterstützt durch die schwedische Non-Profit- Organisation We Effect trägt sie die Idee in andere Länder Lateinamerikas und über den Atlantik bis nach Portugal und Spanien.